Sächsische Zeitung, Görlitz, 28.10.2023

Kleinstadt erlebt seltenes Schauspiel: letztes Läuten der Glocken

Die St. Johanniskirche in Reichenbach erhält neue Glocken. Doch zuvor muss der Glockenstuhl saniert werden. Am Reformationstag läuten die alten Glocken das letzte Mal.

Von Constanze Junghanß

Die evangelische St. Johanniskirche in Reichenbach erhält neue Glocken – zuvor muss der Glockenstuhl saniert werden. © Foto: SZ/Constanze Junghanß

Der 10. November dürfte in die Stadtgeschichte Reichenbachs eingehen. An diesem Tag wird ein Teil der dicken Turmmauer der Kirche durchbrochen. Ein großer Kran rückt an. Das Nachkriegsgeläut und die alte Originalglocke aus der Glockenstube der evangelischen St. Johanneskirche werden an diesem Nachmittag mit tatkräftiger Unterstützung vieler fleißiger Hände herausgehoben. „Das ist auch ein Abschied vom Glockenklang für eine längere Zeit“, sagt Pfarrer Christoph Wiesener. 236 Tage, fast 34 Wochen, bleiben die Glocken dann still. Sie werden am 31. Oktober letztmals geläutet – zum Abschied übrigens per Hand.

Der Glockenstuhl ist stark sanierungsbedürftig. Dazu kommt, dass zwei der drei Glocken nicht mehr original sind. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie wie viele andere Bronze-Glocken im Land konfisziert und landeten auf dem Glockenfriedhof Hamburg. Der Glockenfriedhof war Ausgangspunkt für das Einschmelzen der Glocken, um Kriegsmaterial herzustellen.

Das Modell des neuen Glockenstuhls wird zum Reformationstag zu sehen sein. Kirchengemeinderat Steffen Träger zeigt auf dem Plakat, welche Balken ersetzt werden müssen.
© Foto: SZ/Constanze Junghanß

Nach dem Krieg wurden die Reichenbacher Glocken ersetzt. Das Geläut allerdings gilt gegenüber den Original-Glocken als weniger harmonisch. Außerdem ist die fast 1.000 Kilogramm schwere Christusglocke aus Stahl in die Jahre gekommen, muss ausgetauscht werden. Um die Sanierungsarbeiten am Glockenstuhl durchzuführen, kommen die Glocken runter vom Turm. Sie finden im Eingangsbereich der Kirche ihren vorläufigen Platz. Im Sommer 2024 kommen die neu gegossenen Bronzeglocken nach Reichenbach. Da feiert die Kirchgemeinde die Wiedereinweihung der St. Johanniskirche vor 350 Jahren, zahlreiche Veranstaltungen, Konzerte und ein Volksfest sind geplant.

Feierlich geht es bereits zum Reformationstag am 31. Oktober zu. 14 Uhr und gemeinsam mit Waldhufen, Vierkirchen und Meuselwitz wird ein Regionalabendmahlsgottesdienst gefeiert. Das letzte Läuten übernehmen von Hand die Buchholzer Glockenläuter. „Dafür wurden extra Läuteseile von der Hanf- und Drahtseilerei Goltz in Görlitz hergestellt“, sagt Pfarrer Wiesener. Das Abschiedsgeläut wird live auf einer Leinwand im Kirchenraum übertragen und ist im Stadtgebiet zu hören.

Abgenommen werden die Glocken dann am 10. November um 16 Uhr. Zeitzeugen berichten an diesem Tag, wie die Ersatzglocken nach dem Krieg in die Kirche kamen. Dazu wird ein Gedicht verlesen, wie die Glocken 1942 für den Krieg herausgenommen wurden. Die Glocken stehen anschließend „Modell“ für alle, die den besonderen Moment mit der Kamera einfangen wollen.

(28.10.2023) Beitrag Sächsische Zeitung

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