Sächsische Zeitung, Görlitz, 14.11.2023

Ohne Glocken: Reichenbachs Kirche verstummt bis nächsten Sommer

Der Glockenstuhl der Kirche wird saniert, die Glocken neu gegossen. Das braucht seine Zeit. Wie groß das Interesse in der Kleinstadt ist, zeigte sich auch jetzt, als die Glocken aus dem Turm geholt wurden.

Von Constanze Junghanß

Da schwebt eine der Glocken aus dem Turm der evangelischen Kirche von Reichenbach.
© Fotos: Constanze Junghanß

Jetzt bleiben die Reichenbacher Kirchturmglocken endgültig still. Sie stehen nun gleich am Eingang zur evangelischen Johanneskirche. Offiziell zuletzt geläutet wurden sie Ende Oktober per Hand. Einige Tage später klangen sie eine kurze Zeit erneut und ungeplant. Offenbar war die Mechanik da noch nicht ausgeschaltet gewesen, wie es aus Kirchgemeindekreisen heißt. Doch nun ist endgültig Schluss.

Der Stadtklang wird fast acht Monate nicht mehr zu hören sein. Am Freitag wurde das Geläut mit Kran und Seilwinde nach unten geholt. Die Kranvermietung Felbermayr, die eine Niederlassung in Görlitz mit Standort Markersdorf hat, vollbrachte das. Das Unternehmen kennt sich mit solchen Projekten aus. „Wir haben das schon öfter gemacht“, sagt Uwe Günther, Niederlassungsleiter der Firma, auf Nachfrage. Unter anderem brachten die Markersdorfer Glocken der Kirchen in Crostau und Baruth professionell und heil nach unten.

Im Vorraum der St. Johanneskirche sind alle drei Glocken jetzt zu sehen.
© Fotos: Constanze Junghanß

In Reichenbach wird Felbermayr auch die neuen Glocken im nächsten Jahr wieder nach oben hieven – in eine Höhe von etwa 46 Metern. So weit nach oben ragt der Kirchturm der Johanneskirche. Das Schauspiel vor wenigen Tagen ließen sich viele Anwohner nicht entgehen. Der Kirchplatz war rappelvoll. Dass Glocken aus einem Kirchturm geholt werden, ist nicht alle Tage zu erleben. Und war mit einer kleinen Herausforderung verbunden, wie Uwe Günther sagt. „Wir mussten so arbeiten, dass der Dachüberhang nicht beschädigt wird“, erklärt er. Das hat reibungslos geklappt, kein einziger Stein ging kaputt.

Hintergrund der Aktion ist, dass der Glockenstuhl saniert werden muss, wie Pfarrer Christoph Wiesener erläuterte. Der Glockenstuhl wurde 1671 gebaut. Ein Sachverständiger der Evangelischen Landeskirche hatte bei einer Begutachtung festgestellt, dass Sanierungsarbeiten notwendig sind. Der Glockenstuhl ist eine Konstruktion aus Holz. So waren einige der tragenden Balken morsch oder hatten sich im Laufe der Jahrhunderte verformt. Zwei der drei Glocken waren im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen worden.

Die beiden Nachkriegsglocken sollen nun ersetzt werden. Sie kamen 1956 in den Kirchturm als Ersatz für die fehlenden Glocken. Die Kirchgemeinde rechnet mit Gesamtkosten von 164.000 Euro. Viele Reichenbacher und Kirchenfreunde haben dafür bereits gespendet. 57.000 Euro sind bereits zusammengekommen, wie einer extra für das Glockenprojekt erstellten Internetseite zu entnehmen ist.

70 teilweise sehr steile und schmale Treppenstufen führen nach oben in den Kirchturm, wo das Geläut bis vor wenigen Tagen noch gehangen hat. Die Glocken über diese Treppen herunterzubekommen, war nicht machbar, zumal die Christusglocke aus Stahl etwa 1.000 Kilogramm Gewicht mit sich bringt.

Deshalb musste der Kran ran und eine der oberen Fensterluken vergrößert werden, damit die Glocken durch die Öffnung passen. Das ist problemlos gelungen. Auch die Lutherglocke, die das Metall der Glocken aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg in sich trägt, wurde abgenommen. Sie ist die einzige alte Glocke, die nach der Sanierung des Glockenstuhls wieder eingehängt wird.

Die beiden anderen Glocken werden von der hessischen Glockengießerei Rincker neu gegossen. Im April nächsten Jahres werden Reichenbacher dazu ins 550 Kilometer entfernte Sinn a.d. Dill mit dem Bus reisen, um dem Glockenguss beizuwohnen. Die neuen Glocken sollen am 1. Juni 2024 in der Kleinstadt eintreffen und drei Wochen später zum ersten Mal im Rahmen der Feierlichkeiten zu 350 Jahre Wiedereinweihung der Sankt Johanneskirche läuten. Dann feiert die Kirchgemeinde ein viertägiges Fest und das Glockenstuhl-Modell wird versteigert.

(14.11.2023) Beitrag Sächsische Zeitung

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